Zur Geschichte von Haus Kalbeck
Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts das heutige Schloss Kalbeck erbaut wurde, gab es in der unmittelbaren Nachbarschaft bereits einen Adelssitz dieses Namens, dessen Geschichte bis zum Beginn des 14. Jahrhundert zurückreichte.
Alt-Kalbeck, das gegenüber des heutigen Gasthofes „Jan an de Fähr“ dort lag, wo die Kalbecker Ley in die Niers mündet, wurde erstmals 1326 als „hoff te Calbeke“ urkundlich erwähnt. Damals war dieser Hof als geldrisches Lehen im Besitz des Dietrich Luf III. von Kleve († 1332), Herr zu Oedt und Kervenheim. Bereits 1351 wird der Besitz „huse to Kalbeke“, als befestigter Adelssitz bezeichnet, der Teil des gleichfalls geldrischen Lehens des Geizefurter Eigens war. Im Jahre 1405 findet sich erstmals der Begriff „Herrlichkeit Kalbeck“, die Bezeichnung eines von Haus Kalbeck abhängigen Höfeverbandes, der eigene Berechtsame besaß. Im Jahre 1445, als Arnold von Egmond, Herzog von Geldern, die Lehnshoheit über Kalbeck an Herzog Adolf I. von Kleve verpfändete, wird Kalbeck erstmals „Slait“ (Schloss) genannt. Spätestens jetzt dürfte dieser Adelssitz ein von Wasser umgebenes, repräsentatives Ensemble gewesen sein – so, wie es Jan de Beyer 1743 zeichnete. Als Arnold 1471 das Lehen an Herzog Johann I. von Kleve übertrug, fiel Kalbeck endgültig an Kleve.
Als Lehnsträger sind seit 1330 Eberhart de Rode, Dierk und Johann van der Straten, Dierk van Vlodrop, Johann van Groesbeek, Reinalt van Broeckhuisen, Dierk und Alhart van Haeften, Johann von Grimberg gen. Aldenbockum, Wilhelm von Wylich und Johann von der Horst überliefert. Von Letztgenanntem erwarb 1585 Wolter von Büren († 1603) Kalbeck „mit allem Zubehör“ für 20.000 Taler. Seine Tochter, Anna von Büren († 1642), brachte Kalbeck 1612 in ihre Ehe mit Johann von Morrien († 1635). Fast 200 Jahre, bis 1799, blieben die Morrien Herren von Kalbeck. Die Morrien waren eine der ältesten westfälischen Adelsfamilien, deren Stammlinie von 1350 bis 1691 das Amt des Erbmarschalls im Fürstbistums Münster stellte und 1670 zu Freiherren erhoben wurde. Im Jahre 1647 wurde der zu Kalbeck gehörende Höfeverband als eigenständiger Jurisdiktionsbezirk vom Gericht Kervenheim abgetrennt. Im 18. Jahrhundert wuchs die Herrschaft Kalbeck auf rund 20 Kotten und Höfe an. Sie verfügte über ein eigenes Gericht mit einem eigenen Gerichtssiegel.
Nachdem zunächst die Familie Grüter, die sich als Herren zu Kalbeck „von Grüter-Morrien“ nannte, Besitzer Kalbecks wurde, fiel die Herrschaft 1842 auf dem Erbwege an Friedrich Freiherr von Vittinghoff-Schell. Die Vittinghoff-Schell lebten seit 1452 auf Schloß Schellenberg in Essen-Rellinghausen. Von 1456 bis 1803 hatte die Familie das Amt des Erbdrosten im Stift Essen inne. Den Kalbecker Besitz verwalteten sie von Essen aus. In Kalbeck fungierte ein Oberförster als Bevollmächtigter.
Seit 1903 führten die Vittinghoff-Schell mit den Betreibern der Steinkohlenzeche „Gottfried Wilhelm“ in Essen-Kupferdreh einen Prozeß um den geplanten Bau zweier Förderschächte im Schellenberger Wald. Das Projekt war nicht zu verhindern, doch konnte Vittinghoff-Schell durchsetzen, daß die Aufbereitungsanlage außerhalb des Waldes errichtet wurde. Trotz einiger Kompromisse waren die Störungen, die der Bergbaubetrieb verursachte, besonders der Lärm der unmittelbar am Schloß vorbeigeleiteten Förderkörbe, so groß, daß die Familie sich nach einer neuen Bleibe umschaute. Die Wahl fiel auf Kalbeck, doch sollte nicht das alte Schloß umgebaut, sondern in unmittelbarer Nähe ein Neubau errichtet werden. Dem Hannoveraner Architekten Hermann Schaedtler, der kurz zuvor (1903/04) Schloß Krickenbeck (Grafen Schaesberg) entworfen hatte, wurde der Zuschlag erteilt. Als Vorbild diente das im 17. Jahrhundert erbaute Schloß Werries in Hamm, Westfalen. Mitte 1904 wurden in Kalbeck die Arbeiten aufgenommen und 1910 konnte der Bau bezogen werden.
Anders als in der Literatur zu lesen gibt es für einen Brand von Alt-Kalbeck in der Sylvesternacht 1799/1800 keinen Quellenbeleg – im Gegenteil läuft die im Archiv überlieferte Korrespondenz der Morrien und ihrer Erben mit Pächtern und Angestellten ohne Nennung eines solchen Unglücks über den Jahreswechsel. Dokumentiert hingegen ist ein Feuer, durch das am 30.5.1907 „Schloß Calbeck (…) vollständig niedergebrannt“ sei, so die „Gocher Zeitung“. Nur der Südflügel des Gebäudes wurde 1907/08 wiederaufgebaut und diente fortan als Forsthaus.
„Neu-Kalbeck“ bestand 1910 aus zwei zweiflügeligen Gebäudeeinheiten, dem Herrenhaus mit Wohn- und Repräsentationsräumen sowie der Hauskapelle und der Vorburg als Wirtschaftstrakt. Beide Gebäudeeinheiten liegen parallel zueinander. Der Westflügel des Herrenhauses erstreckt sich in Richtung Vorburg und ist von ihr durch die heutige Hofzufahrt getrennt. Die Anordnung der Bauten vermittelte somit den Eindruck einer dreiflügeligen Gesamtanlage. Mehrere schwere Luftangriffe zerstörten das Schloss im Februar 1945 und machten es unbewohnbar, wobei der Südflügel des Herrenhauses am stärksten getroffen worden war. Dieser Gebäudeteil wurde nur zur Hälfte wieder aufgebaut. Das erste Geschoß, das die Bibliothek und die Hauskapelle aufnahm, blieb erhalten, während der Rest des Flügels zu einer großen, nach oben offenen Halle umgestaltet wurde. Der Turmtrakt wurde als zusätzlicher Wohnbereich hergerichtet.
Der neu angelegte Rosengarten wurde 1965 erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Einnahmen aus den bis 1997 stattfindenden jährlichen Rosenschauen kamen der Betreuung kranker und behinderter Lourdes-Pilger zugute. Seit 1966 fanden in der Bibliothek des Schlosses Konzerte der „Jeunesses Musicales“ statt, deren Eintritte gleichfalls für caritative Zwecke bestimmt waren.
Nach dem Tod der Eheleute Felix und Aileen von Vittinghoff-Schell (1992 bzw. 2000) fiel Kalbeck ihrer Nichte, Maria Immaculata Freifrau Spies von Büllesheim, zu. Seit Mitte 2001 bewohnt deren Tochter, Antoinette Freifrau von Elverfeldt-Ulm, die derzeitige Eigentümerin, mit ihrer Familie Kalbeck. In den Folgejahren wurde das Haupthaus umfangreich renoviert. Auch die Büros der Renteiverwaltung sowie die Räume der Vorburg, die vermietet wurden, unterzog man einer grundlegenden Renovierung.
Kalbeck, im Januar 2019 Hartmut Benz